Universitätsleitung
Der Wissenschaftsstandort Schweiz ist derzeit arg gefordert. Neben der Pandemie sind es vor allem die Folgen des gescheiterten Rahmenabkommens zwischen der Schweiz und der EU. Essentiell für den Erfolg der Universität ist aber auch die Präsenz der Studierenden, Lehrenden und Forschenden vor Ort. Das zeigten die positiven Erfahrungen im Herbst 2021.
Von Prof. Dr. Christian Leumann, Rektor
Das wohl grösste Highlight des Jahres 2021 war, dass wir dank des Covid-Zertifikats zu Beginn des Herbstsemesters zum Präsenzunterricht zurückkehren durften. Die Pandemie ist zwar noch nicht vorbei, dennoch kehrte, dank der Routine, die wir inzwischen im Umgang mit Covid-19 gewonnen haben, wieder etwas mehr Normalität in den Unibetrieb ein. Es war eine grosse Freude zu sehen, wie wieder Leben in die Gebäude einkehrte und Studierende miteinander in regem Austausch standen - darunter auch solche, die seit drei Semestern an der Uni studieren, sich aber bisher nur vom Bildschirm her kannten. Effiziente und effektive Ausbildung kommt nicht nur durch direkten Wissenstransfer zwischen Dozierenden und Studierenden zustande. Der Kontakt zwischen Studierenden, der unterschwellige Austausch und die kritische Auseinandersetzung mit den Lehrinhalten sowie die Etablierung von persönlichen Netzwerken, die ein Leben lang halten, können nicht digitalisiert werden.
Zu den Forschungshöhepunkten des Jahres 2021 gehörte sicher die im März erfolgte Eröffnung des Centers for Artificial Intelligence in Medicine (CAIM), eines Forschungs- und Lehrzentrums der Medizinischen Fakultät, des Inselspitals, der Universitären Psychiatrischen Dienste und sitem-insel. Hier entwickeln Informatiker und Mediziner mithilfe von künstlicher Intelligenz verbesserte Prozesse in der Diagnostik und Therapie. Ein wunderbares Beispiel ist das interdisziplinäre Projekt BrainPol, in dem ein Weltraumforscher und ein Spezialist für künstliche Intelligenz in der Medizin Methoden aus der Weltraumforschung in den Operationssaal transferieren, um gesunde Nervenzellen von Hirntumorzellen zu unterscheiden. Dieses Projekt zeigt exemplarisch das Potenzial einer Volluniversität: mit allen disziplinären Stärken und Offenheit gegenüber interdisziplinärer Forschung Innovation zu schaffen.
Ein weiteres Erfolgserlebnis für die Uni Bern war die erfolgreiche Akkreditierung durch den Schweizerischen Akkreditierungsrat, und zwar ohne Auflagen. Dies belegt, dass an der Universität in allen Bereichen in den vergangenen Jahren ein eigentlicher Kulturwandel in Richtung Qualitätsmanagement vollzogen wurde. Ein besonderer Erfolg war auch die Verleihung des schweizerischen Wissenschaftspreises Marcel Benoist, des «Schweizer Nobelpreises», an Psychologieprofessor Thomas Berger, einen Pionier der Online-Psychotherapie. Gerade in der Pandemiesituation sind seine digitalen Instrumente sehr gefragt, um etwa Depressionen frühzeitig zu erkennen und entsprechende therapeutische Behandlungen anzubieten. Ausserdem durften wir noch das neue Forschungs- und Laborgebäude an der Murtenstrasse 24-28 für das Departement Biomedizin und das Institut für Rechtsmedizin einweihen und die Feier zu «50 Jahre Frauenstimmrecht» mit einer Ausstellung im Historischen Museum Bern, kuratiert vom Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern, begehen.
Nach wie vor drängend ist das Thema Klimawandel. Die Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow ist ohne überzeugende Resultate zu Ende gegangen. Je länger, je mehr zeigt sich, dass eher menschliches Verhalten als fehlende technologische Instrumente das Problem ist. Forschende des Oeschger Zentrums für Klimaforschung, des World Trade Instituts, des Centers for Development and Environment und der Wyss Academy for Nature – alles Forschungszentren der Universität Bern - untersuchen deshalb vermehrt auch neue politisch-ökonomische Ansätze, wie die sozio-technologische Transformation bewältigt werden kann.
Der Bundesrat hat zu Beginn der Pandemie die COVID-19 Science Task Force ins Leben gerufen, um sich in den wichtigen Fragen der Pandemie wissenschaftlich beraten zu lassen. Mittlerweile ist deutlich geworden, dass die Erwartungen der Politik und der Öffentlichkeit an die Wissenschaft höher sind als das, was die Wissenschaft in einer Pandemiesituation in kurzer Zeit an gesicherten Fakten liefern kann. Wir müssen daher der Gesellschaft besser erklären, wie wissenschaftliche Forschung funktioniert und ihre Arbeitsweise der Öffentlichkeit näher bringen. Nur so können wir verhindern, dass die Reputation der Wissenschaft beschädigt wird und «Fake Facts» und Verschwörungstheorien überhandnehmen. Dabei ist es essenziell, dass die Wissenschaft ihr klares Profil behält und sich nicht von der Politik instrumentalisieren lässt. Wir müssen unsere Unabhängigkeit und damit das Vertrauen, das wir geniessen, wahren.
«Die Hochschulen sind darauf angewiesen, dass die Schweizer Politik unverzüglich wieder auf einen Kurs zurückfindet, der stabile Beziehungen zur EU ermöglicht.»
Prof. Dr. Christian Leumann, Rektor
Vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle auf die Gefahr für den Bildungs- und Forschungsstandort Schweiz durch die Nicht-Assoziierung der Schweiz an das Europäische Forschungsprogramm Horizon Europe hingewiesen. Mit dem Scheitern des Rahmenabkommens mit der EU im Mai 2021 ist diese Gefahr nun leider Realität geworden. Zum zweiten Mal in der Geschichte der europäischen Forschungsförderung ist die Schweiz nur noch als Drittstaat zugelassen. Damit haben wir praktisch keinen Zugang mehr zu den Fördergefässen des Europäischen Forschungsrates ERC. Auch grosse Forschungskooperationen dürfen wir nicht mehr leiten, nur eine reduzierte Mitwirkung ist noch möglich. Des Weiteren ist unklar, ob sich die Schweiz noch am Mobilitätsprogramm Erasmus+ für Studierende beteiligen kann, und wenn ja, in welcher Form.
Trotz der Übernahme der Finanzierung von Teilen des ERC-Programms durch den Schweizerischen Nationalfonds bleiben wesentliche Benachteiligungen bestehen, die die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizerischen Spitzenforschung nachhaltig gefährden. Dazu gehören zuallererst die Integration in internationale Forschungsnetzwerke sowie der Reputations- und Attraktivitätsverlust, den wir erleiden. Welche hervorragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der EU werden in Zukunft noch Interesse an einer Schweizer Universität haben? Und wie viele Schweizer Nachwuchsforschenden werden künftig durch europäische Hochschulen angezogen werden, wo sie am grössten Forschungsnetzwerk der Welt teilhaben können und damit bessere Karriereaussichten vorfinden?
Die Schweiz steht seit zehn Jahren im Ranking des globalen Innovationsindexes an erster Stelle, unter anderem dank grosser Investitionen in Forschung und Entwicklung und dank ihrer hervorragenden Hochschulen, die bisher höchst attraktiv für Forscherinnen und Forscher aus dem Ausland waren. Häufig bleiben diese Personen nach ihrer Ausbildung in der Schweiz und helfen somit, den grossen Bedarf an Fachkräften in der Schweizer Wirtschaft zu decken. Das Erfolgsrezept der Schweizer Hochschulen war immer ihre Offenheit für die besten Köpfe, unabhängig ihrer Herkunft.
Es ist schwer nachvollziehbar, weshalb dies alles nun aufs Spiel gesetzt wird. Die Hochschulen sind darauf angewiesen, dass die Schweizer Politik unverzüglich wieder auf einen Kurs zurückfindet, der stabile Beziehungen zur EU ermöglicht. Die Vertrauensbasis, auf welche die Forschung mit ihren häufig langfristig angelegten Programmen angewiesen ist, muss wiederhergestellt werden.
Abschliessend möchte ich die Gelegenheit nutzen, um unseren Studierenden, Forschenden und Mitarbeitenden für das Vertrauen in unsere Universität und für die Bereitschaft, auch in schwierigen Situationen Höchstleistungen zu erbringen, ganz herzlich zu danken.