Fünfmal weniger Antibiotika
Mit Hilfe der Landwirte protokollierte Becker auch den Antibiotikaeinsatz akribisch, ist doch dessen Reduktion das Hauptziel des Konzepts. «Was wir sahen hat unsere Erwartungen deutlich übertroffen», sagt er. Während auf den Vergleichsbetrieben jedes zweite Kalb im Verlauf seines Lebens Antibiotika benötigte, war es bei den «Freiluftkälbern» nur jedes sechste. Und bei der insgesamten Behandlungsdauer war der Unterschied noch grösser: In Betrieben mit dem neuen Konzept wurden fünfmal weniger Behandlungstage als auf den Vergleichsbetrieben verzeichnet.
Wirtschaftlich kaum Unterschiede
Schliesslich analysierten Mireille Meylan und ihr Team auch die wirtschaftlichen Aspekte des «Freiluftkalbs». Denn diese sind für die praktische Umsetzung entscheidend. Sie berechneten hierzu den spezifischen Aufwand, den ein Mäster pro Kalb hat – vom Ankaufspreis über die benötigte Arbeit bis zum Futter. Dies taten sie in einer Variante auf Basis der realen Zahlen aus dem Versuch sowie in einer zweiten Variante mit Durchschnittszahlen für einzelne Kostenpunkte gemäss dem jährlich erscheinenden «Deckungsbeitragskatalog der landwirtschaftlichen Produktionszweige».
Trotz kleinerer Unterschiede ergaben beide Varianten, dass die Mast nach «Freiluftkalb» jener nach IP-SUISSE Label wirtschaftlich weitgehend ebenbürtig ist. «Das überrascht nicht», sagt Ueli Straub von AGRIDEA, der landwirtschaftlichen Beratungszentrale der kantonalen Fachstellen, der für diesen Teil an der Studie mitgearbeitet hat. «Neunzig Prozent der Direktkosten für ein Mastkalb machen Futter und der Ankaufpreis des Tieres aus». Die restlichen Faktoren fielen deshalb nicht sehr stark ins Gewicht.
Zudem neutralisierten sich die jeweiligen Vor- und Nachteile jedes Systems weitgehend: Der leicht höhere Arbeitsaufwand für «Freiluftkälber» wurde unter anderem durch die tiefere Sterblichkeit und eine gute Tagesmastleistung kompensiert.
Ein pragmatischer Weg in die Zukunft
Mireille Meylan zieht ein äusserst positives Fazit aus dem Projekt: «Wir haben gezeigt, dass man den Antibiotikaeinsatz mindestens auf bäuerlichen Kälbermastbetrieben drastisch reduzieren könnte. Und zwar auf sehr pragmatische Weise, die auch wirtschaftlich sinnvoll ist». Allerdings sei man in den Wirtschaftlichkeitsberechnungen davon ausgegangen, dass Landwirte, die nach «Freiluftkalb» vorgehen, genau wie die IP-SUISSE-Betriebe RAUS-Direktzahlungen dafür erhalten, dass die Tiere nach einem festgelegten Standard genügend frische Luft erhalten. Doch das ist wegen des Daches über dem eingestreuten Auslauf im Moment noch nicht der Fall.
Damit das Konzept wirklich breit umgesetzt werden kann, bräuchte es deshalb nun die Anerkennung durch Labels, Bundesämter und Grossverteiler. Das sei erfahrungsgemäss ein langer Weg, so Meylan. Doch sollten kaum mehr Zweifel darüber bestehen, dass er gangbar ist – und sich im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen lohnen würde.