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Tödliche Hitze
Klimaerwärmung ist bereits für jeden dritten Hitzetod verantwortlich
Dr. Ana Vicedo-Cabrera

«Bis jetzt hat die globale Durchschnittstemperatur lediglich um rund 1°C zugenommen, das ist ein Bruchteil dessen, was auf uns zukommen könnte, wenn die Emissionen weiter unkontrolliert wachsen.»

Nachhaltigkeit

Auch Stadt Bern will Hitzestress bekämpfen

Eine internationale Studie, koordiniert von der Universität Bern und der London School of Hygiene & Tropical Medicine, sorgte im Mai 2021 weltweit für Aufsehen. Sie zeigt, dass zwischen 1991 und 2018 mehr als ein Drittel aller Todesfälle, bei denen Hitze eine Rolle spielte, auf die menschgemachte Klimaerwärmung zurückzuführen sind. Besonders betroffen ist die Bevölkerung in Städten. Die Universität Bern erarbeitet Grundlagen für konkrete Anpassungsmassnahmen in der Stadt Bern.

 

Die Klimaerwärmung wirkt sich verschiedentlich auf unsere Gesundheit aus. Ein direkter Effekt zeigt sich im Anstieg der hitzebedingten Krankheits- und Sterberaten. Szenarien zukünftiger Klimabedingungen sagen voraus, dass die Durchschnittstemperaturen erheblich steigen und extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen häufiger auftreten werden. Das führt zukünftig auch zu einem Anstieg der damit verbundenen Gesundheitsbelastung. Bisher wurde noch in keiner Studie untersucht, ob und in welchem Ausmass solche Auswirkungen in den letzten Jahrzehnten bereits eingetreten sind. Die internationale Studie «The burden of heat-related mortality attributable to recent human-induced climate change», koordiniert von der Universität Bern und der London School of Hygiene & Tropical Medicine (LSHTM), belegt nun erstmals, dass 37 Prozent der durch Hitze verursachten Todesfälle zwischen 1991 und 2018 auf vom Menschen verursachte Klimaänderungen zurückgeführt werden können. Die bisher grösste Studie dieser Art mit Daten aus 732 Städten in 43 Ländern weltweit wurde am 31. Mai in der Fachzeitschrift «Nature Climate Change» veröffentlicht.

Wussten Sie, dass?

«Die Berner Studie schlug international hohe Wellen. Gemäss «Carbon Brief», einer auf Klimawissenschaft und -politik spezialisierten britischen Website, war sie 2021 die Klimastudie, die weltweit am häufigsten in den Medien erwähnt wurde.»

Je stärker die Klimaerwärmung, desto mehr Tote

In der epidemiologischen Untersuchung wurden die Auswirkungen der menschgemachten Klimaerwärmung in einer sogenannten «Detection & Attribution»-Studie analysiert, die der Klimaerwärmung den menschgemachten Anteil zuordnet. Konkret untersuchten die Forschenden vergangene Wetterbedingungen unter Szenarien mit und ohne menschlichen Einfluss, und konnten so die menschgemachte Erwärmung und die damit verbundenen gesundheitlichen Auswirkungen von natürlichen Veränderungen trennen. «Wir gehen davon aus, dass der Anteil der hitzebedingten Todesfälle weiterwächst, wenn wir nichts gegen den Klimawandel unternehmen oder uns anpassen», sagt Ana Vicedo-Cabrera, Erstautorin der Studie vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin und vom Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern.

Grosse regionale Unterschiede

Zwar ist im Durchschnitt mehr als ein Drittel der hitzebedingten Todesfälle auf den vom Menschen verursachten Klimawandel zurückzuführen, die Auswirkungen variieren je nach Region aber erheblich. Die Zahl der klimabedingten Hitzeopfer beträgt je nach Standort jährlich zwischen einigen Dutzend bis mehreren hundert Toten, abhängig von den lokalen Klimaveränderungen in jedem Gebiet und der Anfälligkeit der Bevölkerung. Am stärksten betroffen sind Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen in Mittel- und Südamerika und Südostasien, die in der Vergangenheit nur für einen geringen Teil der anthropogenen Emissionen verantwortlich waren.

Auch in der Schweiz mit vergleichsweise kleinen Unterschieden in den Lebensbedingungen und nach wie vor gemässigten Temperaturen sollte man die Hitzerisiken «nicht unterschätzen», wie Ana Vicedo-Cabrera sagt. So sei einer von drei Hitzetoten auf den Klimawandel zurückzuführen, da für die Schweiz die Schätzung bei rund 30 Prozent liegt.

Wussten Sie, dass?

«Bei einem Hitzschlag schwillt das Gehirn an und die Körperkerntemperatur übersteigt 40 Grad. Erreicht diese Temperatur deutlich mehr als 42 Grad, denaturieren (gerinnen) die körpereigenen Eiweisse und der Tod tritt ein.»

Städte besonders betroffen

Die Klimaerwärmung macht den Städten besonders zu schaffen. Denn in urbanen Gebieten spielt der sogenannte Wärmeinseleffekt eine folgenreiche Rolle: Die Temperaturen liegen oft deutlich höher als im Umland – besonders nachts. Hauptgrund dafür ist die Veränderung der Oberflächen: Je grösser der Anteil versiegelter Flächen in einem Gebiet ist, desto mehr Sonnenstrahlung wird absorbiert. Die Gebäude und Strassen werden somit tagsüber aufgeheizt und wirken wie eine Speicherheizung, die in der Nacht langsam Wärme abgibt. Steigen durch den Klimawandel die Temperaturen, erhält diese Speicherheizung noch mehr Energie – und die Menschen leiden immer stärker unter der Stadthitze.

Forschende des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern untersuchen deshalb die Folgen von Hitzewellen auf Schweizer Städte im Rahmen des Forschungsprojekts «Urban Climate Bern». Im Sommer 2021 wurde die vierte Messkampagne durchgeführt.

Filmreihe Urban Climate Bern, Teil 1: Messkampagne. Der Stadthitze auf der Spur mit den Klimaforschenden Moritz Burger und Saba Baer beim Aufbau des Messnetzes in der Stadt Bern. © Universität Bern

Grossangelegte Messkampagne in Bern

«Hochaufgelöste Temperaturmessungen verhelfen uns zu einem detaillierten Bild der städtischen Hitzebelastung», erklärt der Klimawissenschaftler Moritz Burger, der im Rahmen des Projekts seine Doktorarbeit schreibt. Wie unterschiedlich sich der Wärmeinseleffekt bemerkbar macht, haben bereits die Resultate der Messkampagnen 2018 und 2019 gezeigt: In den am stärksten belasteten Quartieren – in der Innenstadt – liegen die nächtlichen Temperaturen während Hitzewellen durchschnittlich um drei bis vier Grad Celsius höher als ausserhalb der Stadt. Einer der Hitzehotspots ist ausgerechnet das Inselspital, besonders warm sind aber auch die Altstadt, der Breitenrain und der Mattenhof.

«Diese Daten aus den Messkampagnen ermöglichen die Modellierung von künftigen Entwicklungen – und sie dienen als Entscheidungsgrundlage für Klimaanpassungsmassnahmen», sagt Moritz Burger. Dabei arbeiten die Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler eng mit der Praxis zusammen. Zum Beispiel mit den Verantwortlichen für den öffentlichen Grünraum, Stadtgrün Bern und Energie Wasser Bern.

Aarewasser gegen die Stadthitze

Zur Diskussion steht etwa, künftig mit einem Leitungsnetz kühles Aarewasser quer durch die Stadt zu transportieren – dorthin, wo in Bern künftig viel Kälteenergie gebraucht wird, wie Walter Schaad, der Nachhaltigkeitsexperte von ewb, im Video erklärt.

 

Filmreihe Urban Climate Bern, Teil 2: Messen für die Praxis. Was tun gegen zunehmende Hitzeinseln in Bern? Unterwegs mit dem Klimaforscher Moritz Burger und dem Nachhaltigkeitsexperten Walter Schaad von Energie Wasser Bern (ewb). © Universität Bern

Forschung mit Langzeitperspektive

Die Universität Bern ist mit ihrer Forschung zum Stadtklima nicht allein. Beim gegenwärtigen Interesse an der Stadtklimatologie, so der Berner Klimatologieprofessor Stefan Brönnimann, beschäftigten sich international zahlreiche Forschungsgruppen mit dem Thema. Alle mit jeweils anderen Schwerpunkten. Die besondere Stärke Berns? «Einmalig ist unter anderem die Langzeitperspektive: Bereits vor 50 Jahren haben unsere Vorgänger während einigen Jahren ein Stadtklimamessnetz betrieben. Mit diesen Daten können wir die heutigen Messungen nun verglichen», sagt Brönnimann. Speziell am Berner Messnetz ist auch, dass es mit Low-Cost-Sensoren funktioniert. Die Forschenden bauen ihre Messstationen gewissermassen im Do-it-yourself-Verfahren zusammen. Das senkt die Kosten auf rund 60 Franken pro Stück.

Filmreihe Urban Climate Bern, Teil 3: Wissenschaft. Unterwegs mit Berner Studierenden, die 2021 in einem Sommer-Feldkurs das Berner Stadtklima erforschten.

Dieser Ansatz könnte nicht nur in ärmeren Ländern Nachahmer finden, auch hierzulande sind Messstationen dünn gesät, weshalb es bisher an hochaufgelösten Messreihen zum urbanen Klima fehlt. MeteoSchweiz betreibt in Bern eine einzige Station – sie steht vor den Toren der Stadt in Zollikofen – und bezieht hieraus ihre Klimaszenarien für die Stadt Bern. Geht man vom IPCC-Szenario RCP 8.5 aus – keine Klimaschutzmassnahmen –, wird es in Zollikofen gegen Ende des Jahrhunderts «nur» acht bis zehn Tropennächte geben. Ganz anders könnte sich die Lage allerdings in der Berner Innenstadt präsentieren: Zieht man den bereits heute messbaren Unterschied zwischen den diversen Standorten mit ein, zeigen die Modellierungen von «Urban Climate Bern» für die am stärksten von der Hitze betroffen Quartiere rund 30 bis 45 Tropennächte. Das sind Verhältnisse, wie wir sie heute in Südeuropa kennen.

Filmreihe Urban Climate Bern, Teil 4: Zwischenbilanz. Warum der Sommer 2021, obwohl so verregnet, einer der wärmsten in Europa war und wie durch simple Begrünungsmassnahmen auch voll versiegelte Stadtflächen kühler werden, zeigt dieser vorläufige Abschluss der Filmreihe.

Auch im Sommer 2021 zeigte sich der Stadthitzeeffekt

Das Jahr 2021 hingegen, das zeigen die Daten, war kein Extremjahr. Manchen kam er sogar ausserordentlich kühl vor. «Rein von den Messdaten her, war der Sommer 2021 nicht weit weg von der Norm», sagt jedoch Moritz Burger. Über den ganzen Sommer gesehen lagen die Durchschnittstemperaturen bei 18 Grad Celsius und damit immer noch um 0,6 Grad über dem Wert, der gemäss dem langjährigen Mittel zu erwarten gewesen wäre. Auch bei der Sonnenscheindauer schnitt der vergangene Sommer nur leicht unterdurchschnittlich ab: Die zu erwartende Sonnenscheindauer wurde mit 95 Prozent der Norm nur knapp verfehlt.

Bezogen auf ganz Europa aber, so gibt der Klimaforscher zu bedenken, war der Sommer 2021 gar ausgesprochen warm. Der seit 1979 existierende Copernicus-Datensatz etwa weist ihn europaweit als den heissesten je gemessenen aus. Auch wurde ein neuer absoluter Temperaturrekord erreicht: In der Nähe von Syrakus auf Sizilien mass man am 11. August 48,8 Grad. Verantwortlich für dieses Extrem war das Hoch «Luzifer», das Süditalien im Sommer 2021 die siebte Hitzewelle in Folge bescherte. 

OESCHGER-ZENTRUM FÜR KLIMAFORSCHUNG

Das Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) ist eines der strategischen Zentren der Universität Bern. Es bringt Forscherinnen und Forscher aus 14 Instituten und vier Fakultäten zusammen. Das OCCR forscht interdisziplinär an vorderster Front der Klimawissenschaften. Das Oeschger-Zentrum wurde 2007 gegründet und trägt den Namen von Hans Oeschger (1927-1998), einem Pionier der modernen Klimaforschung, der in Bern tätig war. Die Forschung zu Klimawandel und Gesundheit ist eines der Schwerpunktthemen des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung. Eine entsprechende Forschungsgruppe wurde 2019 gemeinsam mit dem Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Universität Bern gegründet. Geleitet wird sie von Dr. Ana M. Vicedo-Cabrera, der Erstautorin der internationalen Studie zu Hitzemortalität und Klimawandel.

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